Kontext
Das Pattern ist insbesondere für Seminare geeignet, die das Ziel haben, grundlegende Theorien und Methoden des Fachs zu vermitteln.
Der Ansatz eignet sich besonders für Fächer, in denen keine Abschlussklausur geschrieben wird, sondern „kleine Prüfungsleistungen“ vorgesehen sind – typischerweise in den Geistes- und Sozialwissenschaften. In vielen Fächern spielt das Erlernen und Einüben von Schreibkompetenzen eine zentrale Rolle, da Studierende lernen müssen, adressatengerechte, gut strukturierte Texte zu verfassen.
Problem
Ziel wissenschaftlicher Betätigung ist nicht nur die Produktion von Erkenntnissen, sondern auch deren Vermittlung an die wissenschaftliche Community. Die kommunikativen Kompetenzen der Studierenden werden in den sogenannten “kleinen Prüfungsleistungen” häufig aber nur mittels hoch artifizieller Gattungen geprüft, ihre Texte nur von den Dozierenden gelesen.
Wirkkräfte
Kleine Prüfungsleistungen sind meist reduzierte Varianten einer großen Prüfungsleistung und damit artifizielle Gattungen, die kein Äquivalent außerhalb des Seminargeschehens haben (z.B. Exposé zu einer Arbeit, die nie geschrieben werden muss oder Hausarbeit ohne Theorieteil und Forschungsüberblick). Rückmeldungen darauf erhalten die Studierenden üblicherweise nur von den Dozierenden. Die tatsächliche Kommunikation studentischer Erkenntnisse an ein wissenschaftliches Publikum findet im Studium (wenn überhaupt) erst sehr spät statt.
Lösung
Die Studierenden schreiben als kleine Prüfungsleistung einen Wiki-Artikel für die wissenschaftliche Community der Seminarteilnehmenden.
Details der Lösung
Vorbereitung:
In der Vorbereitung muss ein Wiki-Baustein erstellt werden, der entweder in ein Lernmanagementsystem oder eine datenschutzkonforme Alternative eingebunden ist. Außerdem muss überprüft werden, ob diese Art der Prüfungsleistung von der Studienordnung gedeckt ist sowie mit welchen Bewertungskriterien sie bewertet werden soll. Die Seminarleitung hat sich explizit gegen die Nutzung von Wikipedia entschieden, da die Studierenden dort außerhalb des datenschutzrechtlich wie sozial geschützten Raumes der Universität agieren würden und gezwungen wären, ihre Daten (Anmeldedaten, Texte) an Dritte weiterzugeben. Den Studierenden wurde aber explizit freigestellt, ihre Texte im Anschluss an das Seminar selbstverantwortlich zu veröffentlichen.
Durchführung:
Am Anfang des Semesters wird von der Seminarleitung angekündigt, dass die “Kleine Prüfungsleistung” in Form eines Wiki-Artikels geleistet wird.
Die Gattung Wiki-Artikel muss eingeführt werden. Im konkreten Fall wurde eine Vorlage erstellt, die die inhaltlichen Kategorien enthielt sowie in der Syntax des verwendeten Wikis verfasst war, d.h. die für die Formatierung notwendigen Sonderzeichen erhielt (siehe Anhang).
Es werden zeitnah die Bewertungskriterien für diese Prüfungsleistung (z.B. in Form eines Bewertungsbogens, siehe Anhang) mit den Studierenden besprochen und Fragen beantwortet.
Die technischen Aspekte des verwendeten Wikis werden eingeführt. Dies kann in Präsenz geschehen, erfahrungsgemäß reicht eine Handreichung (z.B. in Form einer Power Point Präsentation mit Screenshots, siehe Anhang) aus.
Es ist sinnvoll, die Studierenden das Schreiben im Wiki mit einer Probeaufgabe ausprobieren zu lassen (z.B. könnten Seminarmitschriften im Wiki hinterlegt werden). Am Anfang der nächsten Seminarsitzung kann dann thematisiert werden, was gut funktioniert hat und wo es Probleme gegeben hat.
Es bietet sich an, außerdem Open Science, Creative Commons Lizenzen sowie die Wikipedia aus Autor:innensicht zu thematisieren.
Mindestens einmal im Semester vor Abgabe der Prüfungsleistung schreiben die Studierenden einen Wiki-Artikel in das Lernmanagementsystem, der den eingeführten Kategorien entspricht. Zu diesen Artikeln geben sich die Studierenden in der folgenden Sitzung Peer-Feedback. Bei kleinen Seminaren ist es möglich, dass alle Studierenden alle Artikel lesen. Bei größeren Seminargruppen bietet es sich an, die einzelnen Teilnehmenden aufzufordern, eine Mindestanzahl von (z.B. 3 oder 5) Artikeln zu lesen, die per Zufallsprinzip verteilt werden.
Das Feedback orientiert sich an den eingeführten Bewertungskriterien für die Artikel und wird ggf. von der Seminarleitung ergänzt oder korrigiert. Möglicherweise empfiehlt es sich vorher, Feedback-Regeln einzuführen.
Am Ende des Semesters leisten die Studierenden ihre kleine Prüfungsleistung in Form eines Wiki-Artikels ab. Zusätzliches Peer-Feedback (z.B. durch Kommentierungen im Diskussionsbereich eines Wikis) kann hier optional nach Abgabetermin eingeholt werden.
Die Themenwahl für die Wiki-Artikel kann frei sein, oder aus einer vorbereiteten Liste erfolgen. Es ist auch kollaboratives Arbeiten an Artikeln denkbar (Bewertung als Gruppenleistung). Hier ist von Vorteil, dass in den Wikis gesehen werden kann, wer genau an welchen Textteilen gearbeitet hat.
Stolpersteine:
- Die digitale Infrastruktur im Lernmanagementsystem kann gut oder weniger gut sein. Es kann z.B. möglich sein, dass andere Seminarteilnehmende schon geschriebene Artikel aus Versehen löschen. Meist lässt sich aber alles wieder herstellen.
- Die Prüfungsform Wiki-Artikel muss von der Prüfungsordnung gedeckt sein.
- Erfahrungsgemäß wollen selbst Studierenden am Studienanfang mehr als nur Wissen wiedergeben. Im Laufe der Erprobung dieser Prüfungsform wurde daher die Kategorie “Kritik” ergänzt, um diesem vielfach geäußerten Bedürfnis nachzukommen.
- Die Studierenden sind durch die Gattung angehalten, auch Online-Quellen zum Belegen ihrer Aussagen zu finden. Es kann sein, dass den Studierenden die Kompetenzen zum Finden dieser wissenschaftlich verwendbaren Quellen noch fehlen bzw. dass solche zu den gewählten Themen nicht existieren.
Folgen (Vorteile, Nachteile)
Vorteile:
- Die Studierenden denken beim Verfassen ihrer Texte an eine wissenschaftliche Commmunity als Adressat:innen.
- Die Studierenden erhalten zusätzlich zur summativen Note auch formatives Peer-Feedback.
- Die Studierenden messen sich nicht nur an Texten fertig ausgebildeter Wissenschaftler:innen, sondern erhalten einen Einblick in das Leistungsspektrum auf ihrer Qualifikationsstufe.
- Die Studierenden machen sich vertraut mit einer modernen Gattung der Wissenschaftskommunikation.
- Die Studierenden machen sich vertraut mit den technischen Aspekten von Wikis.
- Die Studierenden reflektieren die moderne Infrastruktur (Wikipedia, Fachwikis) in Hinblick auf Faktoren wie ihre Entstehungsbedingungen, Autor:innen, Öffentlichkeit, organisatorische Anbindung.
- Die Studierenden reflektieren frühzeitig ihre Teilhabe an der wissenschaftlichen Fachcommunity sowie ihre Position gegenüber Open Science.
- Die Studierenden machen ihre Artikel möglicherweise tatsächlich öffentlich.
- Die Studierenden werden im Rahmen der Recherche nach Weblinks zum Belegen ihrer Aussagen auf wissenschaftliche Online-Quellen aufmerksam.
Nachteile:
- Die Art der Prüfungsleistung setzt gewisse Schreibkompetenzen voraus.
- Die Studierenden brauchen geeignete Endgeräte und Internetanschluss.
- Das am Unistandort verwendete Lernmanagemensystem muss einen Wiki-Baustein enthalten oder man braucht eine datenschutzkonforme Alternative.
- Das Seminarsetting muss hauptsächlich auf das Kennenlernen von Wissen ausgelegt sein, um mit einer Prüfungsleistung konform zu sein, in der die Wiedergabe von Wissen im Vordergrund steht.
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